Am Freitag, 23. Mai 2025 durfte unser Präsident, Stephan Grau, 37 Mitglieder und zwei Gäste anlässlich des IFU-Lunches im Grand Casino Luzern begrüssen.
Künstliche Intelligenz als «Gamechanger» für Wirtschaft und Arbeitswelt
Künstliche Intelligenz (KI) ist längst mehr als ein kurzlebiger Trend – sie zählt heute zu den treibenden Kräften des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels. Seit der Einführung von ChatGPT im November 2022 hat sich KI in zahlreichen Berufsfeldern etabliert, insbesondere in wissensintensiven und kommunikationsintensiven Branchen. Diese Entwicklung wirft zentrale Fragen auf: Was bedeutet der technologische Fortschritt für Beschäftigte und Unternehmen? Welche Kompetenzen werden künftig an Bedeutung gewinnen? Und wie gelingt es, Arbeitskräfte gezielt auf die Anforderungen einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt vorzubereiten?
Antworten auf diese Fragen gab Dr. oec. Patrick Leisibach, Co-Leiter Forschung und Senior Fellow bei Avenir Suisse, in seinem Vortrag „Wie verändert KI den Arbeitsmarkt?“. Auf Basis aktueller Studien und empirischer Daten analysierte er und sein Team die Auswirkungen der KI auf Berufsprofile, Beschäftigungsstrukturen und politische Handlungsspielräume. Dabei wurde deutlich: KI verändert nicht nur bestehende Aufgaben und Prozesse – sie schafft auch neue Tätigkeitsfelder und Berufsbilder und treibt damit einen grundlegenden Strukturwandel voran.
Ein Blick in die Vergangenheit…
Technologische Umbrüche – von der Industrialisierung bis zur Digitalisierung – haben bislang nicht zur massenhaften Vernichtung von Arbeitsplätzen geführt. Im Gegenteil: Trotz zunehmender Automatisierung ist die Erwerbsbeteiligung gestiegen, ebenso die Reallöhne. Der Grund liegt darin, dass neue Technologien menschliche Arbeit nicht vollständig ersetzen, sondern häufig ergänzen. Gleichzeitig entstehen durch veränderte und neue Bedürfnisse und Möglichkeiten auch laufend neue Berufe. So existierten rund 60 % der heutigen Berufe im Jahr 1940 noch nicht.
Mit der zunehmenden Leistungsfähigkeit generativer KI, wie sie in Systemen wie ChatGPT zum Einsatz kommt, werden heute auch komplexe kognitive Aufgaben automatisiert. Dabei geht es nicht mehr um einfache, regelbasierte Abläufe, sondern um Systeme, die Muster erkennen, Inhalte eigenständig generieren und Entscheidungsgrundlagen liefern können. Die rasante Verbreitung unterstreicht das Potenzial dieser Technologie: ChatGPT erreichte innerhalb von nur drei Monaten 100 Millionen Nutzer – schneller als jede andere Innovation zuvor. Zum Vergleich: Das Mobiltelefon benötigte dafür 16 Jahre, das Internet sieben.
Der Einfluss von KI auf die Arbeitswelt lässt sich anhand von vier zentralen Wirkmechanismen beschreiben:
- sie übernimmt Aufgaben und reduziert Kosten,
- sie steigert durch die Ergänzung menschlicher Arbeit die Produktivität,
- sie verbessert bereits automatisierte Prozesse und
- durch KI entstehen völlig neue Tätigkeiten, in den Bereichen der Gestaltung, Steuerung und Überwachung dieser Systeme.
Besonders prägend ist, dass generative KI nicht nur verändert, was wir tun, sondern auch, wer es tut. Zwar kann KI viele Aufgaben eigenständig ausführen, sie bleibt aber auf menschliche Unterstützung / Beteiligung angewiesen, etwa beim sogenannten Prompting, bei der inhaltlichen Prüfung, bei Entscheidungen sowie der Anpassung an spezifische Kontexte. Von dieser Entwicklung profitieren insbesondere Berufseinsteigerinnen und -einsteiger sowie weniger erfahrene Mitarbeitende: Der Zugang zu kreativen oder analytischen Aufgaben wird durch KI erleichtert. Dies eröffnet für mehr Menschen den Einstieg in anspruchsvollere Aufgaben, birgt jedoch auch das Risiko der Verdrängung klassischer Rollen.
Welche Qualifikationen und Kompetenzen braucht es künftig?
Fachwissen allein genügt nicht mehr – entscheidend ist ein Set überfachlicher Fähigkeiten. Besonders gefragt sind analytisches und kritisches Denken zur Bewertung komplexer Informationen sowie Kreativität und Problemlösungskompetenz, um neue Ansätze jenseits bekannter Muster zu entwickeln. Anpassungsfähigkeit und kontinuierliche Lernbereitschaft werden zu zentralen Erfolgsfaktoren in einer dynamischen Arbeitswelt. Ergänzt wird dieses Kompetenzprofil durch digitale und technologische Fähigkeiten, die den souveränen Umgang mit KI-Systemen ermöglichen. Auch soziale und emotionale Intelligenz bleiben essenziell – gerade in Berufen mit zwischenmenschlicher Verantwortung, etwa im Bildungs-, Gesundheits- oder Pflegebereich.
Ob bestimmte Aufgaben künftig ganz von KI übernommen werden, hängt nicht nur von der technischen Machbarkeit ab, sondern stark von der gesellschaftlichen Akzeptanz. Wo Gesundheit, Sicherheit oder das menschliche Wohl betroffen sind, zeigen sich deutliche Vorbehalte. Ebenso in Bereichen, die persönliche Interaktion, Beziehungsarbeit oder ein hohes Maß an Verantwortung erfordern, etwa bei RichterInnen, ÄrztInnen oder PilotInnen, wird der Mensch auch langfristig unersetzlich bleiben. Gesellschaftliche, ethische und rechtliche Rahmenbedingungen setzen hier klare Grenzen. Technik allein entscheidet nicht – Vertrauen, Verantwortung und soziale Erwartungen spielen eine entscheidende Rolle.
Wie wird ermittelt, welcher Beruf potenziell stark von KI betroffen ist bzw. beeinflusst wird?
Die potenzielle Betroffenheit eines Berufs durch Künstliche Intelligenz wird anhand der Kompetenzen bewertet, die für die Ausübung erforderlich sind – also eines spezifischen „Fähigkeitspakets“ aus kognitiven, manuellen und sozialen Fähigkeiten. Ein Beispiel: Lehrpersonen benötigen logisches Denkvermögen, sprachliche Ausdrucksfähigkeit, Sprachverständnis und soziale Wahrnehmung. Die entscheidende Frage lautet: In welchem Masse kann KI diese Fähigkeiten übernehmen?
Auf Basis dieser Einschätzung wird ein sogenannter Exposure-Score ermittelt, der angibt, wie stark ein Beruf theoretisch von KI beeinflusst werden kann. Dabei ist wichtig: Der Score macht keine Aussage darüber, ob KI die jeweilige Tätigkeit ersetzt oder lediglich unterstützt, er misst lediglich die technische Abdeckbarkeit der benötigten Kompetenzen.
Wo steht die Schweiz?
Im internationalen Vergleich ist die Schweiz gut aufgestellt. Ein durchlässiges Bildungssystem, ein flexibler Arbeitsmarkt und eine ausgeprägte Innovationskultur schaffen günstige Voraussetzungen, um den Wandel aktiv zu gestalten. Die Politik sollte diesen Prozess begleiten – nicht durch Restriktionen, sondern durch gezielte Förderung. Anstelle von Technologiesteuern oder dem Erhalt überholter und nicht zukunftsfähiger Strukturen sind Investitionen in Weiterbildung, lebenslanges Lernen und berufliche Mobilität gefragt. Die zentralen Impulse dazu müssen jedoch aus der Wirtschaft selbst kommen.
Fazit:
- KI wird die Arbeitswelt tiefgreifend verändern – aber Arbeit nicht abschaffen.
- Der Mensch bleibt durch Kreativität, soziale Intelligenz und Urteilsvermögen zentral.
- Politik und Unternehmen müssen den Wandel aktiv gestalten – nicht aufhalten.
Nach dem aufschlussreichen Vortrag und einer lebhaften Fragerunde nutzten die Teilnehmenden die Gelegenheit für vertiefende Gespräche und einen genussvollen Lunch im Restaurant Olivo.
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